Abriss über die Forschungsgeschichte
Die Lage des antiken Milet war nie ein Geheimnis, da die Überreste mancher Bauten stets im Gelände sichtbar waren. Die Stadt änderte in byzantinischer Zeit ihren Namen zu Palatia und bis heute heißt das Dorf in der Nähe der antiken Stadt in Anlehnung daran Balat.
Das Theater von Milet 1843. Quelle: gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de France
Die erste Ausgrabung in Milet wurde im Jahr 1873 durch ein französisches Team durchgeführt und widmete sich dem Theater. Dabei sollten vor allem Kunstwerke gefunden werden und tatsächlich kamen sechs Statuen ans Tageslicht, die an das Musée du Louvre in Paris geschenkt wurden. Viele Objekte, die man für weniger wertvoll hielt, verblieben vor Ort.
Ab 1899 wurden unter der Leitung des Archäologen Theodor Wiegand und mit finanzieller Förderung des deutschen Kaisers großflächige Ausgrabungen durchgeführt. Die Hälfte der Funde aus dieser „alten Grabung“ wurden vertraglich den Berliner Museen zugesprochen. Wiegands erklärtes Ziel war es die „schlafenden Millionenstadt“ Milet „zu neuem Leben aufzurütteln“ und in all ihren Epochen von der Archaischen Zeit bis in das Mittelalter zu erfassen. Die meisten der Funde aus diesen Grabungen stammten aus den hellenistischen und römischen Epochen, aber es entstanden auch Veröffentlichungen zur türkischen Emiratszeit. Mit Beginn des ersten Weltkrieges endeten diese Ausgrabungen.
Erst ab 1955 wurde unter der Leitung von Gerhard Kleiner wieder in Milet gearbeitet. In diesem Jahr wurden das Dorf Balat und die Magazine der „alten Grabung“ bei einem schweren Erdbeben zerstört. Das Dorf, das sich bis dahin im antiken Stadtgebiet befunden hatte, wurde bei dieser Gelegenheit an eine Stelle außerhalb der antiken Stadtmauern umgesiedelt.
Bis 1973 stand die Entdeckung der mykenischen sowie der archaischen Stadt im Fokus der Arbeiten. Nennenswert sind außerdem erste Restaurierungsarbeiten sowie eine ausführlichere Beschäftigung mit den schon von Wiegand freigelegten spätantiken und frühmittelalterlichen Bauten. Letzteres wurde maßgeblich von Wolfgang Müller-Wiener vorangebracht, der später – zwischen 1975 und 1988 – Grabungsleiter Milets wurde. In dieser Zeit wurden Ausgrabungen in den hellenistischen Heiligtümern, sowie weitere Restaurierungs- und Konservierungsmaßnahmen vorgenommen. Gleichzeitig wurden auch Zeugnisse einer prähistorischen Vorgängersiedlung entdeckt.
Der Bus der Miletgrabung im Antikengelände 2019. Quelle: N. Lordoğlu, Miletgrabung (UHH)
Seit 1990 widmeten sich die Arbeiten in der Stadt unter der Leitung von Volkmar von Graeve der Erforschung des archaischen Milet. Der Fokus der Grabung lag nun nicht auf dem hellenistischen und kaiserzeitlichen Stadtzentrum, sondern auf den beiden im Südwesten gelegenen Hügeln Kalabaktepe und Zeytintepe. Aufschüttungen, die als Trümmer der Zerstörung Milets 494 v. Chr. infolge des ionischen Aufstandes identifiziert wurden, lieferten neue Hinweise auf die Ausdehnung und Lage des archaischen Stadtgebietes und die Besiedlung Milets nach dieser Katastrophe. In den 90er Jahren wurde durch ein Team der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel die weitläufige Erfassung des Stadtgebietes mit naturwissenschaftlichen (geophysikalischen) Methoden begonnen, die mittlerweile fast das gesamte Stadtgebiet abdeckt. So wurde auch ohne Grabungen ein klares Bild der Bebauung und vor allem der Aufteilung von Straßen und Häuserblöcken (Insulae) geschaffen.
Verschiedene Forschungsprojekte widmeten sich seither einzelnen Aspekten der Stadt. Beispielsweise wurden durch das langjährige Projekt von Wolf-Dietrich Niemeier viele Erkenntnisse zum bronzeitlichen und früheisenzeitlichen Milet gewonnen. Hierdurch verdichteten sich die Hinweise darauf, dass das in hethitischen Quellen genannte Milawanda dem Milet der späten Bronzezeit entspricht. Der von 2012 bis 2016 tätige Grabungleiter Phillip Niewöhner forschte schließlich vor allem zur byzantinischen Stadt. Im Fokus der Arbeiten stehen aber seit mehreren Jahrzehnten auch kontinuierlich Reinigungs-, Sicherungs und Restaurierungsarbeiten im Antikengelände. Seit 2018 werden die Ausgrabungen von der Universität Hamburg getragen und von Christof Berns geleitet. Hinweise zum aktuellen Forschungsprogramm finden Sie unter dem Menüpunkt Projekte.
Text: Mark Ohlrogge