Südstadt
Der als Südstadt bezeichnete Bereich zwischen der hellenistischen Stadtmauer im Süden, dem von den Faustinathermen und dem Südmarkt flankierten antiken Stadtzentrum im Nordosten sowie der Küste mit dem Heroon II im Nordwesten befindet sich auf einer niedrigen Ebene. Nur wenige archäologische Befunde in der Südstadt sind heute wirklich bekannt, da ein großer Teil des Gebietes bis zum Erdbeben des Jahres 1955 von dem Dorf Balat (heute als „eski“ Balat, also altes Balat bezeichnet) überlagert wurde. Nach dem Erdbeben wurden die Bewohner*innen an den heuten Standort weiter im Süden und außerhalb des antiken Stadtgebietes umgesiedelt.
Heute wird ein großer Teil dieses Bereiches landwirtschaftlich genutzt. Über vereinzelte Befunde sowie die geophysikalische Prospektion, mit der sich Strukturen im Boden kartieren lassen, ist jedoch das Netz aus Straßen und Häuserblöcken, sog. Insulae, gut bekannt. Die Orientierung der Straßen weicht von denen im Norden der Stadt (und dem Stadtzentrum) um einige Grad ab. Weiterhin haben die Häuserblöcke in der Südstadt eine andere Größe als die im Norden. Woran dieser Unterschied liegt, ist nicht abschließend geklärt, aber oft wird vermutet, dass man bei der Stadtplanung auf die Größe und Orientierung der zwei wichtigen Heiligtümer (dem Delphinion im Norden und dem Athenatempel im Süden) Rücksicht nehmen wollte.
Die archäologischen Befunde sind mit Flusssedimenten bedeckt und schwer zugänglich. Im Bereich von Athenatempel und Stadion haben Grabungen die Reste einer bronzezeitlichen und geometrischen Siedlung freigelegt. Teile der Südstadt gehörten also zum frühesten Stadtgebiet Milets, das in der Bronzezeit noch Millawanda hieß. Aus der hellenistischen Zeit sind bisher nur wenige Gebäude bekannt, darunter Wohnbauten und das Gymnasion und Stadion im Bereich des Athenatempels. Sicher ist jedoch, dass das Gebiet im Hellenismus mit der im Süden verlaufenden Stadtmauer eingefasst war. Aus der römischen Kaiserzeit sind drei Thermenkomplexe bekannt: Die Thermen am Westmarkt, die Thermen gegenüber dem Museum und die sog. Südstadtthermen. Bei den Südstadtthermen handelt es sich um einen etwa 640 m² großen, rechteckigen Komplex, dessen Nord- und Südwand eine Seitenlänge von etwa 27 m und die Ost- und Westwand eine Seitenlänge von etwa 24 m aufweist. Die im Vergleich zu den übrigen Thermen kleine Badeanlage, die wahrscheinlich zur nachbarschaftlichen Nutzung innerhalb eines Wohnviertels dienten, fügen sich in das orthogonale Straßenraster ein und füllen die Südhälfte einer Insula aus. Zumindest in der ersten Bauphase am Ende des 1. / Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. scheint es sich hierbei um eine Therme mit Baderundgang gehandelt zu haben. Spätere Umbauten, bei denen Spolien der Faustinathermen, der Michaelskirche und der Großen Kirche zum Einsatz kamen, führten zu einer Neustrukturierung des Thermenkomplexes zu einem Doppelbad, die eine Geschlechtertrennung des Badebetriebes ermöglichte. Auch wurde mit der Verlandung und der damit einhergehenden Überschwemmungssituation in den Wintermonaten in spätantiker Zeit das Bodenniveau erhöht, um die Therme weiterhin nutzen zu können.
All diese Bauten zeigen, dass die Südstadt spätestens in der Kaiserzeit ein lebhaftes Wohngebiet war. Auch in byzantinischer Zeit und im Mittelalter setzte sich die Nutzung fort. So gab es bspw. im Süden die sog. Rundkirche. Aufgrund gefundener Architekturteile weiß man, dass sich eine weitere, bisher unentdeckte Basilika in der Südstadt befunden haben muss. Im Mittelalter ist vor allem der nördliche Teil der Südstadt besiedelt, wie sich an der berühmten Ilyas Bey Moschee und der kleinen Kapelle Hagia Paraskevi zeigt.
Text: Sandra Golling
Literaturhinweise
- Ph. Niewöhner, Die Südstadtthermen von Milet. Vom kaiserzeitlichen Baderundgang zum byzantinischen Doppelbad. Mit Beiträgen von J. Gorecki und A. Waldner und unter Mitarbeit von D. Göçmen und Ch. Klein, AA, 2015, 173–235