Heroon II
Das aus römischer Zeit stammende Heroon II liegt ca. 120 m nördlich des Athenatempels auf einem Felssporn oberhalb der antiken Küstenlinie. Während die hervorgehobene Lage des Grabbaus nach der Verlandung des Mäanderdeltas noch erahnt, aber nicht mehr aus erster Hand nachvollzogen werden kann, muss das Heroon II in antiker Zeit vom Meer aus sichtbar gewesen und einen beeindruckenden Anblick geboten haben. Da Heroa als innerstädtische Ehrenbekundungen für besonders bedeutende, verstorbene Bürger gelten, muss die Person, der dieses Bauwerk gewidmet war, von herausragender Stellung gewesen sein (zur Bedeutung und Benennung der milesischen Heroa s. den Eintrag zu Heroon I, siehe auch Heroon III). Dem Verstorbenen, dessen Identität leider nicht bekannt ist, wurden an dieser Stelle höchste öffentliche Ehren zu Teil.
Wer sich heute dem Standort des Heroon II nährt, wird zunächst mit den hoch anstehenden Mauern eines mittelbyzantinischen Wohnturmes konfrontiert, der im 9.-12. Jh. auf den römischen Grabbau aufgesetzt wurde. Das eigentliche Heroon muss schon gegen Ende des 5. Jh. im Zuge eines Erdbebens zerstört worden sein. Auf dieses Zerstörungsdatum weisen immerhin Keramikfunde hin, die im Kontext der zugehörigen Trümmer und Schuttschichten freigelegt wurden.
Das Heroon II bestand ehemals aus einem zum Wasser hin geöffneten Antentempel, also einem Tempelbau mit zwei vorspringenden Zungenmauern und einer kleinen Vorhalle mit Säulenstellung. Dieser stand auf einem hohen Podium und konnte über eine Freitreppe auf der Nordseite betreten werden. Das Bild dieser Tempelfront wurde durch zwei zwischen den Zungenmauern platzierte Säulen ionischer Ordnung komplettiert. Das hier beschriebene Ensemble aus Tempelbau und Podium muss in seiner exponierten Lage hoch über dem Meer bewusst gewählt worden sein, um die Fernwirkung des Gebäudes für Anreisende auf dem Meer sicherzustellen. Die eigentliche Grabkammer lag im Kontrast dazu versteckt unterhalb des Tempels in dessen Podium und konnte über eine Treppe im Innenraum betreten werden. Hinzukam ein weiterer, direkterer Zugang auf der Südseite des Podiums auf Höhe des antiken Straßenniveaus.
Neben der bemerkenswerten architektonischen Gestalt des Heroon II und der exponierten Lage über dem Meer, besticht der Bau auch durch seinen reichen Bildschmuck auf der Außen- und Innenseite. Während das äußere Gebälk einen Fries mit jagenden Eroten (kleinen geflügelten Kinderfiguren) trug, waren die Innenseiten der Vorhalle und der Innenraum des Tempels mit einem aufwendigen Lotos-Palmetten- sowie einem Girlandenfries dekoriert. Durch stilistische Analysen dieser als Bauornamentik bezeichneten Dekorelemente am Heroon II konnte der Grabbau in trajanische-frühhadrianische Zeit, bzw. das erste Viertel des 2. Jh. n. Chr. datiert werden.
Text: Fabian Sliwka
Literaturhinweise
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B. F. Weber, Die römischen Heroa von Milet, Milet 1,10 (Berlin 2004) 3–100
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M. Maischberger, in: P. Niewöhner, Milet/Balat (Istanbul 2016) 129–132