Heiliges Tor
Das Heilige Tor ist kein einzelnes, kompaktes Gesamtbauwerk, sondern besteht aus einem älteren und einem jüngeren Tor, die durch bauliche Maßnahmen zusammengeschlossen wurden. Der Name der Anlage geht auf die Heilige Straße zurück, die vom Stadtzentrum von Milet bis in das Apollonheiligtum nach Didyma führte. Das Tor markiert die Stelle, an der die Heilige Straße das Stadtgebiet verlässt, und veranschaulicht die Entwicklung der Stadtbefestigung durch seine verschiedenen Bauphasen.
Die Fundamente der zwei Torbauten sind unterschiedlich ausgestaltet und ausgerichtet. Der ältere, äußere Torbau lässt sich durch drei Schichten an Quadermauerwerk, die den Grundriss der zwei Mauertürme markieren, zwischen denen das Tor positioniert war, nachweisen. Im Schwellstein sind noch deutliche Wagenspuren sichtbar und im östlichen Turm zeigen sich Einlassungen für den Sperrbalken der Anlage.
Das jüngere Tor liegt unmittelbar nördlich des älteren und die Fundamente zeigen, dass die Ausrichtung des Grundrisses abweicht. Es scheint deutlich aufwendiger gestaltet zu sein. Der Bau bestand aus zwei quadratischen Kammern mit einer Durchfahrt von drei Metern Breite und wurde nach außen von zwei rechteckigen Türmen flankiert. Die Anlage des jüngeren Tors sollte das ältere Tor nicht ersetzen, sondern bezog es noch weiterhin in die neue Verteidigungslinie mit ein.
Durch einen Zusammenschluss der Bauwerke entstand also ein Hoftor mit dreieckigem Grundriss. Die neue, westwärts gedrehte Ausrichtung ist auf den geänderten Mauerverlauf zurückzuführen. Zeitgleich mit dem jüngeren Tor wurde der Mauerring, vermutlich in der ersten Hälfte des 4. Jh. v. Chr., deutlich verkürzt. Bei einer Belagerung Milets durch Alexander den Großen im Jahr 334 v. Chr. wurde vorerst nur die äußere Stadt erobert, womit das von der neuen Mauer ausgeschlossene Gebiet bis hin zum Kalabaktepe gemeint ist. Aus einer am Tor erhaltenen Inschrift geht hervor, dass das jüngere Tor unter der Regierungszeit von Kaiser Trajan (98–117 n. Chr.) Baumaßnahmen erfuhr. Unter dem Proconsul Q. Iulius Balbus wurde im Jahr 100 n. Chr. die Heilige Straße nach Didyma neu terrassiert und gepflastert. Dazu wurde auch der Durchgang des Tores mit einem neuen Schwellstein oberhalb des alten versehen, da das Bodenniveau sich bereits in antiker Zeit angehoben hatte. Außerdem wurde in den Torkammern des jüngeren Tores jeweils ein Wasserbecken als Verteiler für Tonrohrleitungen aus dem Umland errichtet. Im 2. Jh. n. Chr. wurden mehrere aufwendige Grabbauten südlich des jüngeren Tores gebaut, die einen der beiden zu der Zeit bereits abgetragenen Türme des älteren Tores überbauen. Bei den letzten bekannten Baumaßnahmen wurde im 3. Jh. n. Chr. die südliche Quermauer instandgesetzt.
Text: Silas Munnecke
Literaturhinweise
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A. von Gerkan, Die Stadtmauern, Milet. Milet 2,3 (Berlin/Leipzig 1935)
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G. Kleiner, Die Ruinen von Milet (Berlin 1968) 28–32
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B. Emme, Heiliges Tor, in: P. Niewöhner (Hrsg.), Milet/Balat. Städtebau und Monumente von archaischer bis in Türkische Zeit. Ein Führer (Istanbul 2016)