Kalabaktepe
Nähert man sich Milet und dem Museum auf der Hauptstraße zwischen Priene und dem Dorf Akköy, so sieht man auf der Milet abgewandten Seite der Straße einen eigentümlich geformten Hügel, der fast an einen Tafelberg erinnert. Der Name des Hügels ist modernen Ursprungs. Als Wortherkunft kommen „kalpak“ oder „kabalak“ infrage, da diese Wörter in manchen Schriftquellen als „kalabak“ wiedergegeben werden. Dabei kann es sich entweder um eine bestimmte spitze Filzmütze oder eine Pflanze, die gewöhnliche Pestwurz (Petasites hybridus), handeln.
Der Kalabaktepe bildete ein Zentrum des archaischen Milets. Hier befand sich der Siedlungskern der berühmten, von Herodot als das Schmuckstück oder die Perle Ioniens bezeichneten Metropolis, die für die Gründung zahlreicher Kolonien im Schwarzen Meer verantwortlich war und als eine der größten und reichsten Poleis (Städte) des archaischen Mittelmeeres gilt. Der Kalabaktepe ist im Süden von einer Stadtmauer umgeben, die sich nach Osten fortsetzt und das Siedlungsgebiet des archaischen Milets umreißt. Ihr gesamter Verlauf und damit auch die tatsächliche Größe der archaischen Stadt bleiben bisher unbekannt.
Auf und um den Kalabaktepe wurden im Laufe der Zeit viele Wohngebiete ausgegraben, zwischen deren dicht an dicht gelegenen Häusern sich enge Straßen winden. Die auf mehreren Terrassen angelegten Wohngebiete bieten den Anblick einer natürlich gewachsenen, also nicht von Grund auf geplanten Stadt. An einigen Stellen lassen sie sich sogar bis in die spätgeometrische Periode, also das 8. Jh. v. Chr., zurückverfolgen. Neben Wohngebäuden wurden hier viele Werkstätten angetroffen, die von der Produktion von Metallgegenständen und Knochenschnitzereien und vor allem Keramikgefäßen seit dem 7. Jh. v. Chr. in der archaischen Zeit zeugen.
Auf der östlichen Terrasse des Kalabaktepe befand sich neben mehreren Wohngebäuden ein Heiligtum, von dem aus man nach Osten einen beeindruckenden Blick auf die milesische Halbinsel und das sie umgebende Meer hatte. Hier wurden die etwa 11 x 19m großen Fundamente eines archaischen Tempels entdeckt. Wegen einer an diesen Fundamenten entdeckten Bronzeschale mit eingeritzter Weihung, wird das Heiligtum mit dem Tempel als das der Artemis Kithone bezeichnet, welches auch aus anderen Inschriften im Stadtgebiet und antiken Schriftquellen bekannt ist.
Nach dem ionischen Aufstand wurde die Siedlung auf dem Kalabaktepe im Jahr 494 v. Chr. durch die Perser zerstört. Am Südhang des Hügels lässt sich der rasche Aufbau neuer Wohnhäuser beobachten, die die älteren Mauern als Fundamente und Steinbrüche wiederverwendeten und oft durch die Aufhöhung des Geländes mit großen Mengen von Zerstörungsschutt gekennzeichnet sind. Hier haben sich vielleicht die Überlebenden der Zerstörung gesammelt, bis es zum Wiederaufbau der gesamten Stadt kam. Diese Siedlungsphase scheint nicht lange in Benutzung gewesen zu sein. Spätestens seit der hellenistischen Zeit (also etwa ab dem späten 4. Jh. v. Chr.) liegt der Hügel schließlich außerhalb der Stadtmauern.
Text: Lisa Steinmann
Literaturhinweise
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A. von Gerkan, Kalabaktepe, Athenatempel und Umgebung, Milet 1,8 (Berlin 1925)
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M. Kerschner – R. Senff – I. Blum, Milet 1994--1995. Die Ostterrasse des Kalabaktepe, Archäologischer Anzeiger 112, 1997, 120—122
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R. Senff, Die archaische Wohnbebauung am Kalabaktepe in Milet, Denkschriften Wien 288, 2000, 29–37