Michaelskirche und Dionysostempel
Der Dionysostempel und die Michaelskirche wurden nacheinander auf demselben Häuserblock (Insula) westlich des sogenannten Nordmarktes errichtet. Die nördliche Hälfte derselben Insula wird vom sogenannten Bischofspalast eingenommen. Südöstlich neben der Kirche bzw. dem ehemaligen Tempel, aber auf höherem Niveau, liegen die 40-Stufen-Moschee und ein türkisches Bad, die beide zum sog. İbrahim Bey Komplex gehören. Im Bereich der Michaelskirche lassen sich einige sehr unterschiedliche Nutzungsphasen feststellen, die die lange Geschichte Milets und die Ausprägungen von Kontinuität und Wandel eines einzelnen Grundstücks eindrucksvoll demonstrieren.
Wohngebäude
Die südliche Hälfte der Insula war vor Errichtung des Dionysosheiligtums entlang ihrer Nord-Süd-Achse erneut geteilt, um zwei Gebäuden Platz zu bieten. Es ist wahrscheinlich, dass es sich bei beiden Gebäuden um Wohnhäuser gehandelt hat. Anhand weniger erhaltener Mauer- und Fundamentzüge aus zugerichteten Bruchsteinen lässt sich der Grundriss des westlichen Hauses rekonstruieren. Die Ausrichtung dieser Gebäude entspricht dem milesischen Straßenraster. Zugehörigen Funde datieren die Anlage der beiden Häuser an das Ende des 5. Jh. v.d.Z. Sie wurden bis zur Errichtung des Heiligtums um 275/6 v.d.Z. genutzt.
Dionysosheiligtum
Der Dionysostempel wurde einer zusammengehörigen Inschrift nach im Jahr 276/5 v. Chr. erbaut. Es handelt sich um einen hellenistischen Antentempel ionischer Ordnung mit reichem Bauschmuck innerhalb eines kleinen Temenos mit Nebenbauten, der noch in der Kaiserzeit als Heiligtum bestanden hat. Der milesische Dionysoskult lässt sich über Inschriften vor allem mit Gruppen von Frauen (Mänaden oder Bakchen) verbinden, die sich hier versammelt und gefeiert haben dürften, und beimanchen Gelegenheiten zu festlichen Prozessionen in das Umland der Stadt aufbrachen. Durch einige Inschriften sind die "Mänaden von Milet", und besonders ihre Priesterin Alkmeonis, in der Forschung berühmt geworden. Das Heiligtum wird zwischen dem 4. und 6. Jh. aufgegeben. Im Gelände kann man heute noch einen beeindruckenden Giebelblock des Tempels sehen, der dort zur Ausstellung nach der Ausgrabung in den 1970er Jahren platziert wurde. Unter den Mauern der Michaelskirche sind weiterhin einige Fundemantreste sowie die Fronstufen des Tempels zu erkennen, die einst in die Eingangshalle hinaufgeführt haben.
Tempelkirche
Das Dionysosheiligtum wurde nach seiner Aufgabe, vermutlich in der Mitte des 5. Jh. n.d.Z. durch den Anbau einer Apsis in eine Tempelkirche umgewandelt. Hierbei wurde die Front des Naiskos abgetragen und das Dach erneuert. Einige Nebenbauten im früheren Temenos wurden in dieser Zeit weiterhin genutzt.
Michaelskirche
Im frühen 7. Jh. wurde hier nach Abbruch des zur Tempelkirche umgebauten Dionysostempels die Michaelsbasilika errichtet, die in Zusammenhang mit dem sich unmittelbar im Norden anschließenden Bischofspalast steht. Sie erhält ihren Namen von ihrer Bauinschrift, in der sie als dem Erzengel Michael geweihtes Eukterion bezeichnet wird. Der Haupteingang der dreischiffigen Emporenbasilika wurde abweichend von der Vorgängerbebauung in den Westen der Halbinsula gelegt. Kapitelle und Architrave der Kirche waren mit traditionellem Pfeifendekor versehen. Der Haupteingang der Kirche lag im Westen, wo eine Sackgasse als Vorplatz gedient haben könnte. Von dort gelangte man in eine Vorhalle (Narthex) und weiter in eine dreischiffige Emporenbasilika. Vom liturgischen Mobiliar der Kirche hat sich im Zentrum des Mittelschiffs der Sockel einer marmornen Kanzel erhalten, eines sogenannten Ambon. Das östliche Ende des Mittelschiffs war durch eine niedrige Schwelle abgeteilt und diente als Altarbereich. Auf der Schwelle (Stylobat) stand eine Schrankenanlage aus Pfosten, Säulchen und dazwischen eingespannten Platten, die Templon genannt wird und der Vorläufer der Ikonostase war. Die Apsis enthielt eine halbrunde Priesterbank. Nördlich der Basilika liegt ein Peristylhof. Er enthielt eine Treppe zur Nordempore. Im Süden ist die Basilika in ganzer Länge von einem Korridor flankiert, der zu einem überkuppelten Baptisterium und einem vorgelagerten Saal vermittelt.
Text: Lisa Steinmann / Lauren Osthof, teilw. nach Philipp Niewöhner