Theater und Theaterkastell
Die heute mit Abstand prominenteste und größte Ruine im Stadtbild von Milet ist diejenige des großen, steinernen Theaters, das am Südhang des Kaletepe, des sog. Theaterhügels liegt. Moderne Besucher*innen sehen sich hier den beeindruckenden Überresten des römischen Zuschauerraumes, der sog. Cavea gegenüber. Wer sich dem Bauwerk von Süden nähert wird zudem die mächtigen Befestigungsmauern bemerken, die mittig über dem Theater thronen und zu einem byzantinischen Kastell gehören. Sie sind zugleich namensgebend für den Kaletepe, was sich als „Burgberg“ übersetzen lässt.
Während sich also das Ende des Theaters von aufmerksamen Besucher*innen aus dem aktuellen Zustand der Ruine „herauslesen“ lässt, gestaltet sich dies für die Entstehungsgeschichte des Gebäudes ungleich schwieriger. Heute wissen wir, dass schon ab dem 4. Jh. v. Chr., also der hellenistischen Zeit, ein Theater gestanden haben muss. Der heute sichtbare Bau ist in seiner Gestalt sozusagen das Ergebnis zahlreicher Um- und Neubauten eines hellenistischen Ursprungsgebäudes, das rund 5300 Zuschauer gefasst haben muss. Anders als während der römischen Phase, waren diese nur auf zwei Ränge verteilt. Auch die dem Theater südlich vorgelagerte hellenistischen Stadtmauer nimmt auf den Bauplatz am Kaletepe bereits Rücksicht. Dessen Auswahl als Standort ist in erster Linie mit geografisch-topographischen Argumenten zu erklären. Der Hang weist hier eine heute kaum mehr sichtbare, da fast komplett überbaute Mulde auf, in die das Theater hineingesetzt wurde. Wie häufig beim Bau griechischer Theater wurde also ein Bauplatz gewählt, der der natürlichen Theaterform zugutekommt. Aus der topographischen Anpassung ergibt sich auch die Abweichung des Theaters vom orthogonalen, das heißt rechtwinkligen Straßenrasters Milets.
Ein erster Umbau des Theaters erfolgte in der Zeit des Kaisers Nero (54-68), als das Bühnenhaus eine neuartige und aufwendige Fassade erhielt. Das neue Bühnenhaus wurde mit einer dem Zuschauerraum zugewandten Tabernakelfassade ausgestattet. Als Tabernakelfassade wird eine meist mehrstöckige Gliederung der Ansicht mithilfe von Vorsprüngen, Säulen und Nischen bezeichnet. Zur Außenseite hin wurde dem Bühnenhaus eine Säulenhalle mit Meeresblick vorangestellt, die von den Zuschauern betreten werden konnte. Während eines zweiten Umbaus in der zweiten Hälfte des 1. Jh. wurde schließlich der hellenistische Zuschauerraum gänzlich abgerissen und in drei Rängen wiederaufgebaut. Ab diesem Zeitpunkt fasste das Theater von Milet ca. 15000 Personen und stieg zu einem der größten Theater Kleinasiens, also der Westtürkei auf. Als Zugänge zum Zuschauerraum dienten zwei im Osten und Weste gelegene, überwölbte Gänge, die zugleich durch den massiven Unterbau und zu den dort gelegenen Kammern führten. Im Zuge des massiven Umbaus wurde wohl auch das neronische Bühnenhaus erneuert und in seiner Gestalt abgeändert. Anders als bei der vorherigen und sehr luftigen Tabernakelfassade mit teils offener Rückwand, war der Neubau nun dreistöckig und geschlossen. Die grundsätzliche Binnenstruktur der Tabernakelfassade wurde jedoch in vereinfachter Form beibehalten. Der rückwärtige Teil des Bühnenhauses wurde ebenfalls erweitert: Neben einigen Räumen, die an das Bühnenhaus angeschlossen wurden, erhielt die rückwärtige Fassade zur Bucht hin eine Reihe doppelt gestufter Bögen, die das Mauerwerk optisch auflockerten.
Lange nachdem zum letzten Mal Dramen und Komödien im Theater von Milet aufgeführt worden sind, erlangte das Gebäude für die Bewohner*innen des Ortes erneut große Bedeutung. In der byzantinischen Zeit entstand in der vormaligen Cavea (dem Innenraum) eine kleine Siedlung mit Häusern und einer Kapelle, die sich die leicht zu verteidigende Lage des Theaters zu Nutze machte. Anstelle des Bühnenhauses wurde der Innenraum nach Süden hin mit einer Mauer versperrt und das Theater so zur Befestigungsanlage ausgebaut. Mit der Zeit wurde das Theater Opfer weiterer massiver Eingriffe: Wie heute noch sichtbar wurde der dritte Rang abgetragen und als Baumaterial für das Kastell verwendet, das der spätbyzantinischen Siedlung auf dem Kaletepe ab dem 11. Jh. gemeinsam mit dem Theater als Fluchtburg diente. Die Reste dieses byzantinischen Kastells sitzen wie eine Krone mittig über dem römischen Theater. Die unterirdischen Gänge und Kammern des Theaters wurden währenddessen weitergenutzt. Dass diese auch heute trotz zahlreicher Erdbeben in den vergangenen Jahrhunderten noch zugänglich sind, zeugt von der Stabilität seiner Bauweise. Theater und Kaletepe blieben ab der spätbyzantinischen Zeit Teil des Siedlungsgebietes von Palatia und später Balat.
Text: Fabian Sliwka
Literaturhinweise
-
F. Krauss, Das Theater von Milet. Das hellenistische Theater, der römische Zuschauerbau, Milet 4,1 (Berlin 1973)
-
P. Schneider, in: P. Niewöhner, Milet/Balat (Istanbul 2016) 31–37