Nymphäum
Das Nymphäum von Milet, bei dem es sich um eine prunkvolle Brunnenanlage aus dem späten 1. Jh. n. Chr. handelt, befindet sich im Kern der antiken Stadt, zwischen der ionischen Halle, dem Markttor und der Großen Kirche. Das Nymphäum sicherte – in Ergänzung zu Brunnen und Zisternen, die zur Speicherung von Grund- und Regenwasser dienten – die Wasserversorgung des Stadtzentrums. Gespeist wurde es mit Quellwasser, das südlich der Stadt aus einem Kalksteinplateau entsprang und mithilfe eines Aquädukts nach Milet transportiert wurde. Über ein komplexes Verteilersystem wurde das Wasser durch Tonröhren in den Wasserspeicher des Nymphäums geleitet. Mithilfe von Wasserspeiern in der Prunkfassade gelangte es in das vorgelagerte Schöpfbecken, in einen Tiefbehälter sowie in die seitlichen Latrinen. Über das Kanalisationsnetz im Umfeld der Prachtstraße wurde sowohl überschüssiges Wasser als auch Abwasser aus den Latrinen entsorgt.
Neben seinem praktischen Nutzen hatte das Nymphäum zugleich eine repräsentative Funktion und setzte einen qualitätsvollen Akzent direkt im Stadtzentrum des antiken Milets. Heute sind von diesem einst monumentalen Bauwerk nur noch die Ruinen der Schaufassade sowie Teile der Wasserspeicher- und -verteileranlage zu sehen. Da sich eine große Anzahl der marmornen Bauteile erhalten hat, lässt sich das Nymphäum jedoch recht gut rekonstruieren. Ursprünglich handelte es sich wohl um einen Bau von 20 m Breite, 21 m Tiefe und 16 m Höhe. Die dreistöckige Marmorfassade war reich ausgestattet. Auswahl und Gestaltung an Kapitellen, Rankenpfeilern sowie Götter-, Halbgötter- und Heroenstatuen variierten von Stockwerk zu Stockwerk. Einige der Skulpturen im Erdgeschoss hatten nicht nur eine ästhetische Funktion, sondern hielten Gefäße und Tiere mit Einarbeitungen für Wasserröhren in den Händen und dienten somit zugleich als Wasserspeier. Der Auftrag für den Bau stammte – wie der lateinischen Inschrift auf dem Architrav des Erdgeschosses entnommen werden kann – von M. Ulpius Traianus, dem Vater des späteren Kaisers Trajan, der zur Regierungszeit des Kaisers Titus (79–81 n. Chr.) wirkte. Eine zweite, griechische Architravinschrift bezeugt eine Ergänzung unter Kaiser Gordian III. (238–244 n. Chr.), die wahrscheinlich das Skulpturenprogramm betraf.
Text: Nadia Cahenzli
Literaturhinweise
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