Bouleuterion
Unter einem Bouleuterion (Mehrzahl: Bouleuteria) versteht man das Rathaus einer antiken Stadt. Hier versammelte sich der Sitz der städtischen Ratsversammlung, die sogenannte Boule (auf alt-griechisch: βουλή). Bouleuteria waren jedoch nicht ausschließlich den Ratsherren vorbehalten, sondern dienten auch öffentlichen sowie halböffentlichen Versammlungen.
Im Falle der Polis Milet lag das 34,8 m breite und 55,9 m lange Bouleuterion an der Westseite der großen Prachtstraße und konnte von dieser aus betreten werden. Die Anlage des Bouleuterions bestand aus drei Teilen: der viersäuligen Vorhalle (Propylon), die als Haupteingang diente, einem an drei Seiten von Hallen umgebenen Hof und dem hierzu quergelagerten Sitzungsgebäude (dem sog. Auditorium) im Westen des Gebäudekomplexes.
Durch eine Bauinschrift am Auditorium war es möglich, den Stifter des Baus zu identifizieren. Hierbei handelt es sich um den seleukidischen König Antiochos IV. Epiphanes (Regierungszeit 175 – 164 v. Chr.), welcher das Bauwerk dem Apollon Didymeus, der Hestia Bulaia sowie dem Volk (Demos) von Milet weihen ließ. Die aus Milet stammenden Brüder Timarchos und Herakleides, die am Hofe des Königs zu Ansehen und somit auch zu Einfluss gelangt waren, spielten bei der Stiftung eine vermittelnde Rolle. Zudem konnte aufgrund dieser Inschrift die Errichtung des Gebäudes in die hellenistische Epoche (330/20 v. Chr. – 30 v. Chr.) datiert werden.
Das Auditorium, wobei es sich um das Kernstück des Bouleuterions handelt, beinhaltete ursprünglich 18 Sitzreihen (das sog. Koilon), auf denen bis zu 1200 Menschen Platz finden konnten. Jedoch wird diese Zahl nicht mit der Größe des milesischen Rates gleichgesetzt, da historische oder epigraphische Quellen zu der genauen Größe des Rates fehlen. Das Auditorium war von sechs Zugängen aus betretbar. Zwei davon befanden sich an der Gebäuderückseite, die restlichen vier an der Hofseite. Alle führten auf denselben Korridor. Die zwei sich an der Gebäuderückseite befindlichen Eingänge waren mit einer zweiläufigen Treppenanlage verbunden, die zwischen dem Niveau der Straßenebene und der obersten Sitzreihe vermittelte. Im Innenraum des Saales waren vier Säulen aufgestellt, die das Dach stützten. Die geringe Anzahl an Säulen, welche die Sichtbehinderung des Auditoriums auf ein Minimum reduzierte, in Kombination mit der beträchtlichen Größe des Sitzungsgebäudes, lassen auf ein hohes Maß an konstruktivem Können des Bauherrn schließen.
Das große Eingangstor, auch als Propylon bezeichnet, stand auf einem dreistufigen Unterbau, war axial auf den Hof und das Sitzungsgebäude ausgerichtet und besaß drei Türen. Die Front bestand aus vier Säulen in korinthischer Ordnung.
Im Zentrum des Hofes befindet sich ein rechteckiges Fundament. Der Oberbau ist verloren und es ist umstritten, welche Gestalt er gehabt hat. Fest steht, dass es sich um ein architektonisch aufwendiges Monument gehandlet hat, das mit einem Relief von Fruchtgirlanden und Rinderschädeln (auch als Bukranien-Girlanden-Fries bezeichnet), sowie mit figürlichen Reliefplatten mit mythologischen Szenen verziert war. Man hat vorgeschlagen, dass es sich bei dem Monument um einen Altar oder um einen Memorialbau gehandelt hat. Zudem deutet der Stil der Ornamentik auf eine Datierung in das erste Drittel des 1. Jh. n. Chr. (die sog. Augusteische Zeit) hin. Daher muss es sich um einen späteren Einbau in den Gebäudekomplex handeln.
Die Fassade des Bouleuterions konnte aufgrund von zahlreichen Architekturgliedern, die während der Ausgrabungen ab 1899 gefunden wurden, rekonstruiert werden. Sie war zweigeschossig gegliedert, wobei das obere Geschoss deutlich ornamentierter ausgestaltet war. Es wurde beispielsweise mit Halbsäulen, farbigen Reliefschilden, Löwenkopfwasserspeiern und einem Metopen-Triglyphen-Fries geschmückt. Die Ecken des Gebäudes waren von Pilastern eingefasst. Im Gegensatz zu dem großen Eingangstor ist von der aufgehenden Architektur der Hofhallen kaum etwas erhalten.
Zusammenfassend handelte es sich bei dem Bouleuterion von Milet um einen architektonisch aufwendigen und für die Gesellschaft der Polis sehr wichtigen Bau, dessen Nutzungszeit von dem Hellenismus an bis etwa in die Kaiserzeit hineinreichte. Spuren eines Vorgängerbaus haben sich nicht erhalten. Das Gebäude steht vielmehr unmittelbar auf einer speziell hierfür abgearbeiteten Felsfläche. Mögliche frühere Gebäude wären bei seiner Errichtung vollständig abgetragen worden.
Text: Caitlin Bamford
Literaturhinweise
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M. Taschner, in: P. Niewöhner (Hrsg.), Milet/Balat. Städtebau und Monumente von archaischer bis in türkische Zeit. Ein Führer (Istanbul 2016), 85 – 91