Demetertempel
Mit seiner Lage an der Nordspitze der milesischen Halbinsel besaß der hochaufragende Tempel der Demeter eine bemerkenswerte Lage, die ihn für den antiken Betrachter zu einer bedeutenden Landmarke machte. Seine monumentale Architektur und die herausragende Lage sind für ein Demeterheiligtum sehr ungewöhnlich.
Demeter galt als Tochter des Kronos und der Rheia und damit als Schwester anderer olympischer Götter. Sie war die Mutter von Persephone, die von Hades in die Unterwelt entführt wird. Als Folge der verzweifelten Suche nach ihrer Tochter lässt die Göttin des Ackerbaus das Getreide eingehen, um sich auf die Suche nach ihr zu begeben. Durch das Einschreiten von Zeus kehrt Persephone zu ihrer Mutter zurück. Ein Granatapfelkern von Hades, den Persephone vor ihrer Heimkehr zu sich nimmt, zwingt sie jedoch, jedes Jahr vom Sommer bis zum Winter zurück in die Unterwelt zu kehren. Sie kann diese nur im Frühling verlassen, um ihre Mutter zu besuchen. Im homerischen Demeter-Hymnos wird der Unterwelt-Mythos mit der Stadt Eleusis und dem dort angesiedelten Mysterienkult verbunden und Demeter als Göttin des Ackerbaus benannt. Ihr waren aber auch die Leben der Frauen, insbesondere der verheirateten Frauen unterstellt. Aus literarischen Quellen ist bekannt, dass Männer aus einigen Demeterheiligtümern ausgeschlossen waren (Cic. Ver. 2.4.99; Paus. 2.35.6-8). Im archäologischen Kontext schlägt sich dies oft in der hohen Anzahl an weiblichen Terrakottafiguren und von der weiblichen Lebenswelt verbundenen Gegenständen nieder. Bei dem Fest der Thesmophorien finden zur Sicherung der Fruchtbarkeit u. a. Ferkelopfer statt (Lukian. dial. meretr. 2,1, 275,23–276,28). Neben den Ferkelknochen finden sich in den Heiligtümern oft auch niedergelegte Terrakottafigürchen in Ferkelgestalt.
Anhand des bis heute untersuchten Materials lassen sich die Hauptphasen des Kultgeschehens auf dem Humeitepe nachvollziehen: Der Kultbetrieb setzt in der klassischen Zeit im 5. Jh. v. Chr. ein, aber dieser Zeit zugehörige Gebäude sind nicht bekannt. Erst in hellenistischer Zeit wird der Tempel errichtet. Ab hier lässt sich ein intensiver Kultbetrieb feststellen, der erst in der frühen Kaiserzeit langsam einen Niedergang erlebt. Obwohl der Tempel selbst im Gelände nur schlecht erhalten ist, konnte sein Aussehen anhand von in der Umgebung gefundenen Architekturteilen rekonstruiert werden. Es handelte sich demnach um einen von Osten nach Westen ausgerichteten sog. viersäuligen Prostylos ionischer Ordnung. Das bedeutet, dass der Fassade vier Säulen vorgestellt waren. In seiner Umgebung wurden größtenteils weibliche Terrakottafiguren in Verbindung mit Schweinchenterrakotten und Miniaturhydrien gefunden. Hinzu kommen Fragmente eines Kernos, bei dem es sich um ein Kultgefäß handelt, das oft in dem Demeterkult Verwendung fand. Zusammen mit einem Inschriftenfragment, auf dem das mit weiblichen Gottheiten verbundene Epitheton (Beiname) Potnia genannt wird, erlauben die Funde eine Zuweisung des Kultes an Demeter, die Göttin des Ackerbaus.
Text: Sandra Golling
Literaturhinweise
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W. Müller-Wiener, Milet 1983–1984. Vorbericht über die Arbeiten der Jahre 1983 und 1984, IstMitt 85, 1985, 13–138.